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Der Eichelhäher (Garrulus Glandarius): Der Vogel Mit Den Blauen Flügeln Demonstriert Seine Schlauheit

  • Autorenbild: Lacerta Bilineata
    Lacerta Bilineata
  • 8. Apr.
  • 12 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 4 Tagen


Der Eichelhäher (Garrulus glandarius): ein äusserst schlauer Rabenvogel mit blauem Flügeln (hier mit einer Kirsche im Schnabel)
Der Eichelhäher: ein äusserst schlauer Rabenvogel

Der Eichelhäher gehört zu den Rabenvögeln, und wie die meisten Vertreter dieser Familie, ist er äusserst intelligent. In meinem Garten hatte ich die Gelegenheit, das Verhalten des listigen Gesellen über einen längeren Zeitraum zu studieren, und was ich sah, war mehr als nur beeindruckend: es war schlicht genial!


Dieser Vogel gehört vermutlich zu den schlausten Tieren der Welt. Er kann jedes Geräusch imitieren - zum Besipiel "benützt" er das Fauchen von Katzen oder den Schrei eines Raubvogels um andere Vögel von der Futterstelle zu verjagen (beides habe ich meinem Garten beobachten können) - und zahme Exemplare lernen auch sprechen, wie Youtube-Videos belegen.


Die folgende Anekdote aus meinem Garten vermittelt die unglaubliche Cleverness dieser wunderschönen Vögel besonders anschaulich und ist für Hobby-Ornithologen und Naturfotografen vielleicht von Interesse.


Es begann damit, dass ich im Januar 2023 die Idee hatte, den kleinen Holzschuppen in meinem Garten als Versteck zu benutzen, um Vögel zu fotografieren. Zu dem Zweck machte ich ein kleines Loch in die Holzwand des Schuppens, gerade gross genug, dass ich mit der Kamera hindurchfotografieren konnte. Die Vögel konnten weder mich noch die Kamera sehen (höchstens allenfalls das Glas der Linse), und zirka zwei Meter von meinem Guckloch entfernt positionierte ich im Garten einen schweren Holzblock, auf welchen ich Sonnenblumenkerne und Nüsse legte.


Der Futterplatz befand sich direkt unter meinem Feigenbaum, dessen Äste den Vögeln eine ideale Anflugstelle boten, und schon bald kamen sie in Scharen. Innert kürzester Zeit gelang es mir, die meisten der gefiederten Besucher meines Gartens aus nächster Nähe und in perfektem Detail zu fotografieren (Kleiber, Heckenbraunelle, Hausrotschwanz, Kohl-, Blau-, Tannen- und Sumpfmeise und viele mehr) - aber ein besonders schöner Vogel machte nicht mit.


Sie haben es bereits erraten: es war der Eichelhäher. Der stets misstrauische "Wächter des Waldes" - wie der kluge Vogel wegen seines lauten Warnens vor menschlichen Eindringlingen im Wald auch genannt wird - hatte offensichtlich kapiert, dass man bei meinem Futterplatz aus nächster Nähe beobachtet wurde, und das passte ihm ganz und gar nicht. Ich wollte ihn aber unbedingt fotografieren: mit seinen prächtigen blauen Flügeln war er einfach ein zu gutes Motiv - er weigerte sich jedoch standhaft, zu kooperieren.


Der Eichelhäher (Garrulus glandarius) landet auf einem Holzscheit beim Futterplatz
Der Eichelhäher landet auf einem Holzscheit beim Futterplatz (Frühling 2023)

Es war mehr als nur frustrierend, und mit der Zeit wurde das begehrte Eichelhäherfoto regelrecht zu meiner Obsession, ohne dass ich dem Erfolg auch nur einen Millimeter näher gekommen wäre. Mehr als einmal konnte ich vom Haus aus durchs Fenster hindurch beobachten, wie Herr Häher auf einen Ast des Feigenbaums direkt über dem "Vogel-Buffet" flog, das Menü kurz inspizierte, dann einen kritischen Blick auf den Holzschuppen warf, und gleich wieder wegflog.


Ich nehme an, dass er irgendwann gleich zu Beginn das verdächtige Kamerageräusch gehört hatte - oder er sah mich beim Betreten des Gartenschuppens; auf jeden Fall waren ihm die Samen und Nüsse das Risiko nicht wert, und wahrscheinlich gab es in der Nähe auch weitere Futterstelllen mit demselben kulinarischen Angebot, wo keine Paparazzis lauerten.


Ich versuchte ihn auch mit anderen Delikatessen anzulocken: Apfelschnitze, Rosinen, die unterschiedlichsten Nüsse und vieles mehr bot ich Herrn Häher, dieser jedoch machte auf stur und schlug sämtliche meiner Leckerein aus. Ich bin mir bewusst, dass nicht jeder Vertreter der Spezies Garrulus glandarius so kompliziert und fotoscheu ist, aber meiner war eine regelrechte Diva, und verlangte offensichtlich das VIP (oder eher VIB - für Very Imortant Bird ;-) Treatment.


Den ganzen Winter über hatte ich kein Glück mit dem Eichelhäher, aber im Frühling versuchte ich es erneut. Als Landei war ich neben vielen Obstanlagen aufgewachsen, und daher wusste ich, dass Kirschen für diese Vögel nahezu unwiderstehlich sind. Als es im Mai endlich die ersten importierten Kirschen in den Läden gab schlug ich sogleich zu, denn das Timing musste passen.


Sobald nähmlich die vielen Kirschbäume rund um mein Dorf ebenfalls reife Früchte bieten würden - und das dauerte nicht mehr lange - gab es für den Häher keinen Grund mehr, für seine Leibspeise extra in meinen Garten zu kommen. Ich hatte somit nur ein kurzes Zeitfenster, um mein Wunschmotiv mit Kirschen anzulocken.


Ich legte die Früchte auf den Holzblock, und die ersten 2 Tage passierte erst mal gar nichts; ich sammelte die Kirschen jeweils am Abend wieder ein und legte sie in den Kühlschrank, um sie am Folgetag wieder auszulegen. Auch die anderen Vögel im Garten interessierten sich überhaupt nicht für das Obst, was mich etwas überraschte - allerdings habe ich keine Amseln und Drosseln im Garten, sondern ausschliesslich kleinere Vögel, die auf Samen und Nüsse spezialiert sind.


Eichelhäher (Garrulus glandarius) in meinem Garten (Frühling 2024)
Eichelhäher in meinem Garten (Frühling 2024)

Der Eichelhäher hatte die Kirschen aber sehr wohl entdeckt - ich hörte ihn jeweils auch in der Nähe aufgeregt rufen - aber der vorsichtige Vogel beobachtete zuerst von einer sicheren Warte aus, ob diese Leckerbissen ganz koscher waren. Erst als er wirklich von deren Harmlosigkeit überzeugt war, schritt er - mit grosser Zurückhaltung und einer präzisen Strategie folgend -  zur Tat. Am dritten Tag fehlte bei meiner abendlichen Inspektion des Futterplatzes eine einzige Kirsche, tags darauf deren zwei, und schliesslich verschwanden jeweils 4 bis 5 Früchte pro Tag.


So weit so gut; mein Plan schien zu funktionieren - es gab nur einen Haken. Ich sah den Kirschendieb nämlich nie. Anfangs war ich absichtlich nicht mehr in den Gartenschuppen gegangen, weil ich den Eichelhäher in Sicherheit wiegen wollte, aber ab dem 5. Tag war ich immer wieder im Schuppen auf der Lauer, ohne den Vogel ein einziges Mal vor die Linse zu bekommen, und auch vom Haus aus sah ich ihn nie.


Etwa eine Woche lang wiederholte sich dasselbe Szenario: irgendwann während des Tages - allerdings jedesmal um eine andere Tageszeit - verschwanden die Kirschen; immer 4-5 Stück, und immer innert eines Zeitfensters von ca. 10-15 Minuten (dies konnte ich abschätzen, weil ich den Holzblock in regelmässigen, relativ kurzen Abständen kontrollierte), und ausnahmslos zu einem Zeitpunkt, wenn ich nicht im Schuppen war und auch vom Haus aus nicht durchs Fenster schaute.


Es war offensichtlich, dass der Eichelhäher die Futterstelle, das Haus und den Schuppen observierte - eine andere Erklärung gab es nicht. Wahrscheinlich positionierte er sich auf einem hohen Baum ausserhalb meines Gartens, von wo aus er mich durch die Fenster hindurch im Haus beobachten konnte, während ich ihn nicht sah. Es war zum Verrücktwerden: Die Akribie und die Heimlichkeit, mit welchen der listige Vogel seine Aktionen plante und ausführte, waren fast schon unheimlich.


Er mochte ja eine Diva sein, aber Herr Häher zeigte eine beeindruckende Diszplin: hatte er einmal seine tägliche "Quote" von maximal 5 Kirschen erreicht, kam er nicht mehr zurück, und die restlichen Früchte blieben bis zum Abend auf dem Holzblock liegen. Meine Lage - mindestens aus fotografischer Sicht - war verzweifelt: wenn ich nicht bereit war, den Futterplatz ununterbrochen zu beobachten oder eine Wildkamera zu installieren, würde ich nicht mal eine Schwanzfeder des prächtigen Vogels sehen, so viel war klar. Doch dann hatte ich eine Idee.


Dazu muss man wissen, dass ich meine Fotos möglichst natürlich aussehen lassen wollte - ohne sichtbares Vogelfutter im Bild - daher hatte ich von Anfang an drei ästhetisch verwitterte Holzscheite in einer Art Dreieck auf den Futterblock gelegt, und Samen, Nüsse und Kirschen immer in deren Mitte versteckt (etwas unehrlich, zugegeben, aber in der Liebe und in der Fotografie sind alle Tricks erlaubt ;-) 


Eichelhäher (Garrulus glandarius) mit einer Kirsche im Schnabel in meinem Garten (Frühling 2024)
Der schlaue Eichelhäher in meinem Garten (Frühling 2024)

Dies bedeutete aber auch, dass ich vom Haus aus durchs Fenster nur die Holzscheite sehen konnte und somit nie mitbekam, wann die erste Kirsche verschwand. Am nächsten Tag legte ich nun jedoch eine einzelne Kirsche gut sichtbar auf eines der Holzscheite - den Rest versteckte ich wie immer dazwischen. Dann ging ich zurück ins Haus; ich machte es mir auf dem Sofa mit dem Laptop bequem und wartete. Immer mal wieder drehte ich den Kopf zum Fenster um zu sehen, ob die Kirsche noch da war.


Nach etwa zwei Stunden war es endlich soweit: gerade noch hatte ich ihre Silhouette klar gesehen - und nun war die Kirsche verschwunden. Ich sprang augenblicklich vom Sofa auf und schlich mich aus dem Haus und in den Schuppen, wo meine auf dem Stativ montierte Kamera bereits auf mich wartete. Ich konnte mich kaum halten vor Aufregung und spürte das Adreanlin: ich hatte keine Ahnung, ob mein Plan aufgehen würde (ich wusste ja nicht mal mit Sicherheit, ob wirklich der Eichelhäher die Kirschen holte).


Die Logik hinter meiner Idee war die folgende: während der heimliche Kirschendieb damit beschäftigt war, seine "Beute" irgendwo in der Nähe, vermutlich in einem Baum oder Gebüsch, zu verspeisen, war er vielleicht genügend abgelenkt, dass ich in der Zeit unbemerkt in den Schuppen gelangen konnte (dieser liegt gleich gegenüber der Haustür, somit konnte ich ihn bequem innert Sekunden erreichen).


Die Spannung war fast unerträglich. Es war heiss, und Schweiss begann mir von der Stirn in die Augen zu laufen, aber ich getraute mich nicht, mich zu bewegen, weil ich überzeugt war, dass der Häher das Rascheln meiner Kleider hören würde. Ich schaute gebannt durch den Sucher, steif wie eine Statue und mit zusammengekniffenen, brennenden Augen, für eine gefühlte Ewigkeit (tatsächlich waren es höchstens 2 Minuten), als der Meisterdieb wie aus dem Nichts auftauchte: wie ein Zaubertrick von David Copperfield stand er plötzlich auf einem der Holzscheite.


Der misstrauische Eichelhäher (Garrulus glandarius) versucht, den nervigen Fotografen zu entdecken
Der misstrauische Eichelhäher versucht, den nervigen Fotografen zu entdecken (Frühling 2023)

Und ja, es war tatsächlich der Eichelhäher: und mit seinem rostroten Gefieder und den leuchtend blauen Flügelseiten sah er einfach nur fantastisch aus! Er machte ein rasche Bewegung mit dem Kopf - dann war er weg. Ich war fassungslos. Alles hatte sich so schnell abgespielt, dass ich nicht mal versucht hatte, mein lang ersehntes Wunschmotiv zu fokussieren - ich stand einfach nur da, beinahe unter Schock. Ich hatte nicht die geringste Chance gehabt, ein Foto zu schiessen.


Eine Minute später, während ich noch damit beschäftigt war, mich zu verwünschen, tauchte er wieder auf; ich fummelte an meiner Kamera herum - er war bereits schon wieder weg, bevor ich auch nur die Richtung des Objektivs anpassen konnte.


Jetzt begann ich, laut zu fluchen - vor lauter Frust konnte ich einfach nicht anders - aber dem Eichelhäher schien das egal zu sein: während der nächsten paar Minuten kam er noch zwei weitere Male zurück, und alles, was ich am Ende vorweisen konnte, war ein perfekt fokussiertes Foto der Holzscheite - allerdings ohne Vogel. Ich hoffte inständig, er würde nochmal auftauchen, aber er kam nicht mehr; er hatte sich seine üblichen fünf Kirschen geholt, und somit war sein Angriff aufs Buffet für den Tag beendet.


Trotz meiner immensen Enttäuschung und meinem Ärger (vor allem über meine eigene Unfähigkeit) war ich extrem beeindruckt: Die Geschwindigkeit, mit welcher mein Gegenspieler seinen Beutezug durchgeführt hatte, war unglaublich. Kein Wunder, hatte ich ihn nie gesehen! So, wie ich normalerweise Tiere fotografiere - ich mache jeweils Einzelaufnahmen und ziele präzise auf die Augen beim Fokussieren - würde ich nie zum Erfolg kommen, das war mir nun klar. Ich musste in den Auto-Modus wechseln und auf Serienaufnahme schalten, in der Hoffnung eines der Bilder würde am Ende scharf genug herauskommen.


Am nächsten Tag versuchte ich die neue Strategie, und glücklicherweise funktionierte der Trick mit der einzelnen exponierten Kirsche erneut: kaum sah ich durchs Fenster, dass sie verschwunden war, schlich ich mich wieder in den Schuppen, anscheinend unbemerkt. Und wie am Vortag erschien und verschwand der Meisterdieb so unerwartet schnell, dass ich nicht dazu kam, ihn zu fotografieren.


Auch seine nächste Attacke aufs Buffet war zu schnell für mich, aber als er das dritte Mal zurückkam, passte endlich mein Timing: ich zielte und hielt den Finger auf dem Drücker, als würde ich ein Maschinengewehr bedienen, und das Geräusch meiner Schnellfeuer-Salve  -"Trrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr...!" - klang leider auch entsprechend.


Duch den Sucher konnte ich sehen, wie sehr das laute Serienklicken den Eichelhäher irritierte - interessanterweise schien ihn dieses Geräusch viel mehr zu stören, als mein Gefluche vom Vortag - in dem Moment war mir dies jedoch egal (wofür ich mich als Naturfreund schäme); ich war komplett im "Jagdmodus", und alles, was zählte, war meine "Trophäe".


Diesmal kam der Häher nicht mehr zurück, um sich eine fünfte und letzte Kirsche zu holen, aber ich war mehr als happy: ich war mir sicher, dass ich ihn erwischt hatte. Mit vor Aufregung zittrigen Fingern kontrollierte ich die Aufnahmen. Meine Euphorie löste sich augenblicklich in Luft auf. Selbst auf dem kleinen Monitor der Kamera war deutlich zu sehen, dass die Fotos komplett unbrauchbar waren. Die besten waren völlig unscharf, die schlechtesten ein undefiniertes, verwischtes Durcheinander.


Ich war fassungslos. In dem Moment hätte ich die Kamera (und mich selbst) am liebsten gegen die nächste Wand geschmissen. Es stand nun schon mindestens 3:0 für den Häher: der Vogel hatte mich auf jeder Ebene ausgespielt, und ich war mit meinem Latein am Ende. Nochmals den Serienbildmodus zu versuchen machte keinen Sinn; einerseits hatte ich Angst, den Häher damit zu verscheuchen, andererseits war ich zu unerfahren und ungeschickt dafür, und die Resultate würden sich kaum verbessern.


Der Eichelhäher (Garrulus glandarius) merkt, dass er fotografiert wird
Der Eichelhäher merkt, dass er fotografiert wird (Frühling 2023)

Ich war mir gewohnt, Reptilien, Rehe und Schmetterlinge zu fotografieren, und im Vergleich zu diesem blitzgeschwinden Satan bewegten die sich geradezu im Schneckentempo. Ich brauchte mehr Zeit; nur schon ein paar Sekunden hätten genügt, aber der schlaue Vogel würde mir die nie geben, das war gewiss. Doch dann kam mir ein Gedanke. Plötzlich wusste ich, wie ich vielleicht eine extra Sekunde (oder zwei) mit dem flinken Kirschenliebhaber herausholen konnte.


Am nächsten Morgen legte ich wieder eine einzelne Kirsche auf eines der Holzscheite, aber die übrigen Früchte - diejenigen in der Mitte des "hölzernen Dreiecks" - bedeckte ich nun mit dünnen Zweigen. Nicht komplett, die Kirschen mussten ja gut sichtbar bleiben, aber es waren genug Zweige, dass der Eichelhäher sich nicht mit einer einzigen Bewegung eine Kirsche Schnappen konnte: zuerst musste er die Hindernisse aus dem Weg räumen.


Ich ging zurück in Haus und legte mich aufs Sofa neben dem Fenster, dann begann das Warten. Der Eichelhäher kam nicht. Den ganzen Tag über schaute ich regelmässig aus dem Fenster, aber die Silhouette der Kirsche war immer klar zu sehen. Ich befürchtete schon, das laute Geräusch der Kamera am Vortag hätte den Vogel endgültig vergrault und machte mich langsam mit dem Gedanken vertraut, dass es einfach nicht sein sollte: ab einem gewissen Zeitpunkt musste ich der Realität ins Auge schauen. Doch dann, irgendwann am späten Nachmittag, war die Kirsche plötzlich weg. 10 Sekunden später war im Schuppen - und ready.


Wenn ich nicht so angespannt gewesen wäre, hätte ich über den verdutzten Gesichtsausdruck des Eichelhähers lachen müssen, als er auf einem der Holzscheite landete: anscheinend hatte er die Zweige vorhin noch nicht bemerkt gehabt. Aber sein kurzes Zögern war alles, was ich brauchte - "Klick!" - und mein erstes Bild war im Kasten. Er hörte das Geräusch und schaute direkt in die Kamera - "Klick!" - und das war mein zweites Foto, das den überraschten Ausdruck auf seinem Gesicht perfekt einfing (beide Bilder vom Frühling 2023 seht ihr oberhalb).


Der kluge Vogel brauchte jedoch gerade mal zwei Sekunden, um sich auf die neue Situation einzustellen: mit einer einzigen Schnabelbewegung räumte er die Zweige beiseite und schnappte sich eine Kirsche - "Klick!" - und das war mein drittes Foto (das ihr gleich am Anfang dieses Blog-Posts gesehen habt), und schon war er wieder weg. Aber er hatte sehr wohl gemerkt, dass er fotografiert wurde, und es passte ihm überhaupt nicht. Sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich gewesen: er sah aus wie Sean Penn, wenn er ein Rudel Paparazzis sieht.


Ich hingegen jubelte: es hatte endlich geklappt (und ein kurzer Check auf dem Monitor bestätigte dies) - ich hatte drei akzeptable Fotos! Der Trick mit den Zweigen hatte mir tatsächlich die benötigten Zusatzsekunden verschafft.


Der Eichelhäher (Garrulus glandarius) sieht die Kirsche unter den Zweigen
Der Eichelhäher sieht die Kirsche unter den Zweigen (Frühling 2023)
Und schon hat der listige Eichelhäher (Garrulus glandarius) die Aufgabe gelöst und sich seine Belohnung geschnappt
Und schon hat der listige Eichelhäher die Aufgabe gelöst und sich seine Belohnung geschnappt (Frühling 2023)

"Ende gut, alles gut", wie man so schön sagt, und wenn die Anekdote (oder eher das Epos ;-) von meiner "Schachpartie" gegen den Eichelhäher hier enden würde, dann könnte man definitv von einem Happy-End sprechen. Schliesslich hatte ich zu guter Letzt über den listigen Vogel triumphiert und konnte meine begehrten Fotos machen. Aber die Geschichte hat noch einen Nachtrag, der es verdient, erzählt zu werden (und wenn ihr schon bis hierhin gekommen seid, könnt ihr den Rest ja auch noch lesen ;-)


Am nächsten Tag konnte ich die Strategie mit der einzelnen Kirsche und den Zweigen nochmals erfolgreich anwenden, und dann - nie mehr. Am übernächsten Tag war die Kirsche am Abend immer noch auf dem Holzscheit, und so nahm ich an, der Eichelhäher sei nicht gekommen. Als ich aber zum Holzblock ging, um die Früchte wieder einzusammeln, erlebte ich eine Überraschung: fünf der übrigen Kirschen waren weg.


"Reiner Zufall," dachte ich mir; ich konnte mir unmöglich vorstellen, dass der Eichelhäher kapiert hatte, dass das Verschwinden der einzelnen Kirsche auf dem Holzscheit dem lästigen Menschen im Haus jeweils den Beginn seines Angriffs aufs Buffet verriet - kein Tier konnte so intelligent sein. Und doch ist dies meine einzige Erklärung, denn ob ihr's glaubt oder nicht: der Häher rührte die exponierte Kirsche nie mehr an. Kein einziges Mal.


Während aller meiner nachfolgenden Versuche blieb die verräterische Kirsche einsam auf ihrem Holzscheit sitzen, während der Eichelhäher jeweils frech eine Handvoll der übrigen stibitzte. Als ich mehrere Kirschen aufs Holzscheit legte, blieben diese alle unangetastet und er holte sich weiterhin nur diejenigen, die ich nicht sehen konnte. Schliesslich legte ich ALLE Kirschen für mich sichtbar auf die Holzscheite - worauf der Häher gar nicht mehr kam.


Anschliessend unternahm ich noch mehrere Anläufe, bei denen ich einen Teil der Früchte wieder in die Mitte des "Holzscheit-Dreiecks" legte, aber genug war genug: der Vogel tauchte nicht mehr auf. Kurz darauf trugen dann die Kirschbäume in der Umgebung auch schon reife Früchte, somit verloren meine Köder ihre Exklusivität. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Eichelhäher mir meine schmutzigen Tricks übelgenommen hatte, denn ich sah ihn für den gesamten Rest des Jahres 2023 nicht mehr in meinem Garten.


Wer hatte also nun diese Partie Schach zwischen mir und dem Häher am Ende wirklich gewonnen? Wenn ihr mich fragt, mehr als ein Unentschieden darf ich nicht für mich in Anspruch nehmen (und das ist mir gegenüber wahrscheinlich sogar noch eher grosszügig) - aber urteilt selbst :-)


P.S. Im Folgejahr (2024) konnte ich erneut einen Eichelhäher in meinem Garten fotografieren und auch filmen (ich habe keine Ahnung, ob es derselbe war), und im Film-Clip wenn ihr diesem Link folgt, könnt ihr sehen, wie unglaublich schnell der war: https://www.youtube.com/watch?v=OA9s_bciA-Y . Erst in der Zeitlupe sieht man, wie er sich die Kirsche schnappt, und die ganze Sequenz von der Landung, dem Packen der Frucht bis zum erneuten Abflug dauert nicht mal 2 Sekunden (ich hab's gemessen :-).


Falls Sie Interesse haben, finden Sie eine Auswahl meiner besten Tier- und Naturfotos hier

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Lacerta Bilineata  |  greyjoy7007@gmail.com

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